Warum Klima- und Umweltkommunikation mehr Humor braucht und wie wir in Rheinstetten eine Sau durchs Dorf getrieben haben
Zugegeben, dieser Anblick konnte durchaus Misstrauen erwecken. Was einige Anwohnende zum Wählen des Polizeinotrufs brachte, war in Wirklichkeit ein Versuch, die Einwohnerinnen und Einwohner des Stadtteils Mörsch im Süden der Großen Kreisstadt Rheinstetten einmal anders anzusprechen. Anders, das heißt in diesem Zusammenhang eben nicht „nur“ über die klassischen Kommunikationskanäle einer Speckgürtel-Kommune. Denn über diese, so die Feststellung, sei es immer schwieriger geworden, die Adressaten zur Interaktion zu bewegen.
Aber der Reihe nach. Bevor wir als Knappe1A die Verwaltungsspitze von Rheinstetten um Oberbürgermeister Sebastian Schrempp mit Sprühfarbe bewaffnet und an einem späten Sonntagabend samt Kamerateam ins Mörscher Tiefgestade geschickt haben, stand zu Beginn ein „heißes“ Thema.
Pink statt nur schwarz-weiß
In der Großen Kreisstadt Rheinstetten legt man Wert darauf, kein Dorf zu sein. Über 20.000 Einwohnende, zahlreiche Neubau- und Stadtentwicklungsgebiete, eine hohe Nachfrage nach Gewerbegrundstücken und eine vergleichsweise solide aufgestellte Stadtkasse unterstreichen diese Haltung durchaus. Der Photovoltaik-Ausbau ist auf dem Vormarsch, bei einem Bürgerentscheid votierte man 2021 für die Errichtung von Windkraftanlagen. Aber was, wenn es den Einwohnerinnen und Einwohnern demnächst auch „an den Heizungskeller geht“?
Während im Frühjahr in den nationalen Medien Robert Habecks „Heizungshammer“ über Wochen zerrissen wurde, stand in Rheinstetten ein konkretes Vorhaben an. Ein Nahwärmenetz für den Stadtteil Mörsch soll es geben. Erste Planungen lagen bereits vor, zur konkreten Ausbauplanung des Netzes fehlten aber noch Gebäude- und Heizungsdaten von den Wohngebäuden im Stadtteil. Nichts anderes als ein Baustein zur kommunalen Wärmewende in Rheinstetten stand also auf der Agenda. Lokal erzeugte Wärme, eine enkeltaugliche Infrastruktur und unabhängige Versorgung.
Eine Kommunikation war gefragt, die Bewohnerinnen und Bewohner für dieses wichtige Thema sensibilisiert und mitnimmt, ohne die negativen Schwingungen rund um diesen Themenkomplex zu verstärken. Wie konzeptioniert man die Ansprache auf ein Thema, das von schwarz-weiß Denken dominiert wird? Unser Vorschlag war: in Pink.
Ein Nahwärmenetz für Mörsch – Klimaschutz für Rheinstetten
Ein Einsparpotential von 60 bis 80 % an CO2-Emissionen bringt der Anschluss an ein Nahwärmenetz. Und er ist für die Hausbesitzer auch finanziell attraktiv. Die Wärme erhält man über eine nahezu wartungsfrei und günstig zu betreibende Wärmeübergabestation, quasi „frei Haus“.
Hoch attraktiv, diese Form der Wärmeversorgung – insbesondere für einen Stadtteil, in dem die Gebäudesubstanz zwischen 70 und 50 Jahren alt ist und Heizungsaustausche oft überfällig sind. Aber wie gelingt die Beteiligung der Bewohnerinnen und Bewohner, ohne auf eine von Sorgen und Ängsten bedingte Blockadehaltung zu stoßen? Aufmerksamkeit für ein Vorhaben schaffen, ohne direkt eine Wertung zu provozieren.
Welche Sau wird hier durchs Dorf getrieben? – Klima- und Umweltkommunikation mit einem Augenzwinkern
Vor wenigen Tagen wurde in der Fachzeitschrift Current Opinion in Psychology eine Arbeit der Autoren Chris Skurka und Julia Cunningham veröffentlicht. Unter dem Titel Seeing the Funny Side: Humor in Pro-Environmental Communication tragen sie zusammen, wie viel Humor Klima- und Umweltkommunikation verträgt. Eine Kernbotschaft: Mit einem sprichwörtlichen Augenzwinkern ließen sich speziell jene Personen für Themen des Klima- und Umweltschutzes interessieren, die sich bisher distanziert oder ablehnend positionieren.
Wir gehen einen vergleichbaren Weg und entscheiden uns, eine sprichwörtliche Sau durch das Dorf treiben, das eigentlich kein Dorf sein will.
"Neue Kommunikationswege, ein Mega-Thema unserer Zeit und der Aufruf zur Beteiligung an einem Pilotprojekt – das sind die Gründe, warum wir uns entschieden haben, diese Kampagne umzusetzen. Sie ist eher unüblich, kann Widerspruch auslösen und soll diskutiert werden. So wie das nun mal ist, wenn „eine Sau durchs Dorf“ getrieben wird." – Oberbürgermeister Sebastian Schrempp
Die Rathausspitze geht unseren Vorschlag mit. Ein pinkes Schweinchen und seine skizzierten Fußspuren sollen den graphischen Kampagnenkern bilden. Im kommunikativen Erstaufschlag bleibt das eigentliche Thema außen vor. Neugierig wollen wir machen. Denn wenn die erste Interaktion geschafft ist, gelingt die zweite umso leichter.
Eine Metapher und ihr Erfolg
In einer nächtlichen Guerilla-Aktion platzieren wir unsere Kampagnengrafik im öffentlichen Raum. Das Stadtoberhaupt legt selbst mit Hand an. Am nächsten Morgen fragt sich Rheinstetten: Welche Sau wird hier durchs Dorf getrieben?
Die Kampagne entwickelt sich zum Selbstläufer. Von Neugier getrieben besuchen die Rheinstettener die Landingpage und reagieren auf unsere Veröffentlichungen in den Kommunikationskanälen der Kommune. Kinder wollen von ihren Eltern wissen, was die Schweinchen und deren Hufabdrücke auf der Straße vor ihrem Kindergarten zu suchen haben. In den sozialen Medien kursiert ein Video-Teaser vom Oberbürgermeister mit Spühdose und Kapuzenpullover im Schwarz-Weiß-Pink Color Grading.
Die regionale Presse berichtet amüsiert über das Vorhaben. Die zur Kampagne gehörende Bürgerinformationsveranstaltung ist mit 250 Teilnehmenden hervorragend besucht. Zahlreiche Bewohner*innen beteiligen sich darüber hinaus mit detaillierten Angaben an einer Abfrage von Gebäude- und Heizungsdaten. Die Fachplaner der Umwelt- und Energieagentur Kreis Karlsruhe sind beeindruckt, nun kann die Ausbauplanung erfolgen.
Die Haltung, sich selbst nicht zu ernst nehmen und trotzdem mit Überzeugung für ein gutes Anliegen einzutreten, hat aus unserer Sicht den Erfolg der Kampagne SaudurchsDorf ausgemacht. Eine Mammutaufgabe kommt mit der Energie- und Wärmeversorgung der Zukunft auf die Kommunen in ganz Deutschland zu. Der kommunikative Ansatz dafür muss wohl durchdacht sein. Und sollte nach Möglichkeit auch etwas Witz haben.
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